Gretchen Bender
Total Recall
18. April – 31. Mai 2015

Der Titel von Gretchen Benders Videoarbeit Total Recall lässt Paul Verhoevens gleichnamigen Blockbuster anklingen: Die Verfilmung von Philip K. Dicks Science-Fiction Erzählung „We Can Remember It For You Wholesale“ von 1966 verhandelt Erinnerung und ihre Technisierung und Manipulierbarkeit. In Benders Fall ist Total Recall eine umgekehrte, präemptive Anleihe. Sie benutzte den Titel bereits 1987 in der ersten Ausstellung ihrer Arbeit im Projektraum „The Kitchen“ in New York, drei Jahre bevor der Film 1990 in die Kinos kam. Der Schinkel Pavillon zeigt die monumentale Arbeit der 2004 verstorbenen Künstlerin erstmals in Berlin.

Bender hatte enge Verbindungen zu den KünstlerInnen der Pictures Generation. Im Gegensatz zu deren Strategie der Appropriation behandelte sie jedoch in ihrer Arbeit Bilder und Texte in völliger Entkoppelung von ihren Quellen als reine Informationsflüsse, die sie regulierte und lenkte. Die Ausstellung erlaubt einen singulären Einblick in die Schwellenzeit der 1980er Jahre, die in Benders Arbeit als Auftakt der Medienrevolution des Digitalen erkennbar wird.

Benders Total Recall verbaut vierundzwanzig in Reihen angeordnete Fernsehmonitore und drei Projektionsflächen, die in achtzehn Minuten eine Performance rasender Bilder von sich geben. Fernseh- und Filmmaterial ist im schnellen Tempo zusammengeschnitten und mit Fernsehwerbung für Aufnahmegeräte für Privathaushalte kombiniert, die vorwärts, rückwärts und in Zeitlupe abgespielt wird. In ihr werden Apparate amerikanischer Konzerne als das Herz gespielter familiärer Intimität präsentiert. Abstrakte Computergrafiken pulsieren über die Bildschirme; animierte und mutierende Firmenlogos, Filmtitel in Großbuchstaben und Helvetica-Schrift, und die periodisch inaktiven schwarzen Löcher der Displays bilden den Hauptteil dessen, was Bender als „elektronisches Theater“ bezeichnete. Für den elektronischen Soundtrack beauftragte Bender den New Yorker Musiker Stuart Argabright. Die Computergrafik entstand in Kollaboration mit Amber Denker, die auch an den wegweisenden Animationen für „Music Non Stop“ von Kraftwerk gearbeitet hatte.

In ihren Arbeiten nutzte Bender mehrfach Titel von noch unveröffentlichten Filmen. In Total Recall blitzen THE SHINING, CANDYLAND, FULL METAL JACKET, NO END, TEEN WOLF 2 in weißen Lettern über die Bildschirme: Filme, die 1987 veröffentlicht wurden. Diese Anleihen sind keine nostalgischen Anspielungen auf Mainstream-Unterhaltungsindustrie – Bender interessierte sich für das schnelle Feuer von Erwartung, Vorwegnahme, Veröffentlichung und Sedimentierung von massenmedialen Produkten der industry (Hollywood), des Netzwerks (Fernsehen), für Unterhaltungspolitik und für die ökonomisierte Logik von instrumentalisiertem Begehren. Sie nutzte und manipulierte dafür auch einige der ersten computeranimierten Firmenlogos, produziert für GE, CBS, NBC und AT&T.

Gretchen Bender wurde 1951 in Seaford, Delaware, USA, geboren. Seit 1978 lebte sie im New Yorker East Village und lernte dort KünstlerInnen wie Robert Longo, Richard Prince und Cindy Sherman kennen. 1982 begann sie, Fernsehbilder in ihre Arbeit zu integrieren und mit neuster Video- und Digitalschnitttechnologie zu arbeiten. Obwohl sie in ihrer Verwendung von Fernsehbildern und digitalen Animationen vorreitend war, wird Benders Pionierrolle erst in jüngerer Zeit anerkannt. Einzelausstellungen u.a.: Nature Morte, New York, 1983; The Kitchen, 1987; Metro Pictures, New York, 1988; Everson Museum of Art, Syracuse, New York, 1991; Tate Liverpool, 2014. Benders Arbeit war Teil von Image World: Art and Media Culture, Whitney Museum of American Art in New York 1989. Sie starb 2004 in New York.

Text: Eva Wilson

Total Recall courtesy of the estate of Gretchen Bender
Fotos: Gretchen Bender
Total Recall
Installation shots Schinkel Pavillon (Prinzessinnenpalais), Berlin 2015.
Courtesy of the Estate of Gretchen Bender.
Photo: Andreas Rossetti