Paul McCarthy
12. September – 22. November 2015

Mit einer Einzelausstellung des US-amerikanischen Künstlers Paul McCarthy (*1945) eröffnet der Schinkel Pavillon am 11. September 2015 zur Berlin Art Week. Paul McCarthys Arbeiten entspringen einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlich Obskuren zwischen Sichtbarkeit und Vorstellung. Durch Film und Fernsehen vermittelte Wirklichkeiten konfrontiert der Künstler mit Situationen aus ungeschönter Realität: Er thematisiert die Spannung von auf Oberflächen vermittelten Bildern und ihren unscheinbaren, morbiden Hintergründen. McCarthy, der in Los Angeles lebt und arbeitet, stellt dabei konkrete Bezüge zur Hollywood-Industrie und amerikanischen Pop- und Entertainmentkultur her. Konsum, Sexualität, Gewalt, Voyeurismus, Unbehagen, Schuld, Kontrollverlust und Traumwelt sind Brennpunkte, die McCarthy szenisch und ironisch-provokativ ins Bild fasst. In medialer Vielfalt zwischen Fotografie, Zeichnung, Malerei, Skulptur, Video, Performance und Installation konfrontiert er den Anschein mit dem Tatsächlichen und bringt den Widerspruch von Tabu und Spektakel figurativ zum Gegenstand. Er analysiert Prozesse des Sehens und bezieht dabei auf subtile, doch direkte Weise den Betrachter ein: denn seine Arbeiten basieren auf Aktion und Reaktion.

Im Fokus steht immer wieder der menschliche Körper, den Paul McCarthy (oftmals performativ durch sich selbst) in Relation zu gesellschaftlich vermittelten Konventionen setzt und als Figur im Raum – skulptural wie auch unmittelbar bei seinen Aktionen – zur Disposition stellt. Die Maske, als Sinnbild für die Zweiseitigkeit des Subjekts, ist oft Referenz und Gegenstand in seinem Werk. Sie setzt den Körper in Relation zum Raum als Schnittkante und Kontur zwischen Innen und Außen. Ähnliche Bedeutung nehmen Paul McCarthys Körperabformungen ein. Diese, wie auch die Überschneidung von Körper, (Lebens-)Raum und Objekt sind zentral bei den im Schinkel Pavillon ausgestellten Arbeiten, die thematisch um Wachen und Schlafen, um Leben und Tod, um Präsenz und Illusion kreisen.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein synthetisches Replikat des Künstlers: “Horizontal” (2012) ist eine lebensgetreue Nachbildung des nackten Paul McCarthys in horizontaler Lage auf einer Tisch-Installation, die Gesten des Existenziellen, Obsessiven und Voyeuristischen umkreisen. Die Arbeit knüpft an eine frühere Ganzkörper-Skulptur des Künstlers an, “Paul Dreaming, Vertical, Horizontal” (2005). Der bloße Körper erscheint hier nun zugleich als Subjekt und Material, zeigt die Silikon-Haut detailliert jede Falte und Einbuchtung, die Farbe jedes Hautdetails und das Echthaar jede Spur des Lebens – und bleibt dabei doch leere Form, die Repräsentationshülse eines modellierten Avatars. Eine alte Tür aus dem Chefbüro der Bank of America in Downtown L.A., auf welcher der reproduzierte McCarthy mit geschlossenen Augen liegt, unterstreicht den Aspekt des Materiellen und suggeriert zugleich eine Membran, die über reale Existenz, Zeit(losigkeit) und Traum entscheidet.

Die stoffliche Entgrenzung von vorgegebener Form wird auf ähnliche Weise bei der Arbeit “Rubber Jacket H, Horizontal” (2012) konkret, welche aus dem Arbeitsprozess für “Horizontal” hervorgegangen ist. Es ist eine Art Gummi-Mantel, der durch materielle Dynamik nach dem Abformen des Körpers von Paul McCarthy zu einem eigenständigen, amorphen Körper-Abguss in Gestalt des Buchstaben “H” (ebenso Rückverweis auf frühere Arbeiten) geworden ist. Die ehemals flüssige Substanz des Silikons erscheint wie ein momenthaft eingefrorenes Bindeglied zwischen Material und Form, An- und Abwesenheit.

Als besondere Erweiterung der Ausstellungsfläche wird mit McCarthys skulpturaler Videoinstallation “That Girl T.G. Drawing Table – Drawing” (2011-2013) die ehemalige Schinkel-Klause im Erdgeschoss des Schinkel Pavillons der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Arbeit besteht aus einem Holztisch mit Graphitzeichnung sowie einer Sechs-Kanal-Video-Installation. Film bzw. Fotografie dienen McCarthy als Index und Dokument, in diesem Fall als Vorstudie für einen weiblichen Körperabguss, Paul McCarthys Life-Cast-Serie (“That Girl T.G. Asleep” und “Thar Girl T.G. Awake”). So skizzieren die sechs Videos aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Blickpunkten (u.a. auf Hände, Füße, Scham) den Prozess des Zeichnens und das Finden von Positionen auf der Tischplatte: McCarthy fährt mit einem Graphitstift die Körper-Konturen und Lichtschatten von Elyse Poppers nach, die nach Anweisungen des Künstlers auf dem Tisch liegt, sitzt und steht. Die Bildmomente der Kamera generieren zum Teil Ansichten, die auf tradierte Bildmotive der Kunstgeschichte verweisen, während der expressive Linienverlauf des Graphits den Bewegungsradien des Körpers sowie den Formen der Haut folgt und als Spuren eines konzeptuellen Aktes dem Holz einschreibt. Die Geste wird zur Performance, der Körper zum Spektakel.

Um eine möglichst detailgetreue Nachbildung ihrer Gesichtszüge für seine künftigen Life-Cast-Plastiken zu erzeugen, hat Paul McCarthy einen 3D Gesichtsscan des Modells anfertigen lassen. Bei der Herstellung dieses Scans entstanden fototechnische Digitaldrucke, welche erstmals in Paul McCarthys Ausstellung im Schinkel Pavillon zu sehen sind und als eine Weiterführung der Life Casts “That Girl T.G. Asleep” und “That Girl T.G. Awake” bestehen. Die drei verschiedenen Kopfansichten formen nahezu pop-futuristische Gegenbilder zu McCarthys gestischer Zeichnung des Drawing Table, und stellen der Ursprünglichkeit der Kohlezeichnung eine technologische Bildvision gegenüber. Dabei erscheint der Kopf des Modells in den Fotografien nahezu skulptural, und verbindet in einer medial ganz neuen Bildsprache Paul McCarthys Studien um “T.G.” und ihre Relation zu Raum, Körper und Bild.

— Christina Irrgang

12 – 27 September 2015, nun zum ersten Mal überhaupt im Theater: REBEL DABBLE BABBLE in die Volksbühne

Die Ausstellung wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung von Hauptstadt Kulturfonds, VW und Hauser & Wirth