Alina Szapocznikow, Alisa Baremboym, Aleksandra Domanović, Sarah Lucas, Katja Novitskova, Carolee Schneemann & Anicka Yi
THEM
13. Juni – 26. Juli 2015

mit Alina Szapocznikow, Alisa Baremboym, Aleksandra Domanović, Sarah Lucas, Katja Novitskova, Carolee Schneemann, and Anicka Yi

Kuratiert von Nina Pohl

THEM – das sind sie, das sind wir. THEM umkreist die Frage nach dem Ich, umschließt den Blick nach Innen und Außen, nach Repräsentation und Selbstdefinition. THEM umfasst das Sinnliche, Körper und Material, Begehren und Aufbegehren, den Raum der Nähe und das Bodenlose, Abgrenzung, Technologie, das Virtuelle. Die Gruppenausstellung THEM ist eine Begegnung, eine Revision, ein Statement. Zentraler Bezugspunkt ist das Werk der polnischen Künstlerin Alina Szapocznikow (1926-1973), das in den letzten Jahren internationale Beachtung gefunden hat. Szapocznikows Arbeiten stehen in einem Dialog mit sechs Künstlerinnen, ausschließlich weibliche Positionen, die sich – je spezifisch in Bezug zu ihrer Generation – mit der Definition und Konstruktion von Körper, mit Gender, mit gesellschaftlicher Positionierung bis hin zum Prothesenhaften des Körpers im digitalen Zeitalter befassen. Die Exponate werden gerahmt von einer speziell für die Ausstellung gestalteten Architektur, die im Gesamtbild an die Gestalt einer Amöbe, einem Einzeller, angelehnt ist und als eigenständiger Körper die Skulpturen trägt und umschließt. Sie wird zu einer organisch gewundenen, begehbaren Schnittstelle, zum Körper, der Körperhaftes thematisiert.

Die Ästhetik der Oberfläche in Gegenüberstellung zur Substanz der Materie ist ein wiederkehrendes Thema der skulpturalen Arbeiten von Alina Szapocznikow. Cendrier de célibataire (The Bachelor’s Ashtray I) (1972) zeigt eine solche Dichotomie zwischen dem Realen und dem Absurden. Da ist die Form und das Formlose, der Abguss eines Kopfes und dessen surrealistische Ausdehnung, das Makellose, Bildhafte, und der Moment des Übergangs, ein Zerfallen und Zerfließen. Existenzialismus und Ironie, Bewusstsein und Lust am Körper. “Meine Geste richtet sich auf den menschlichen Körper, diese ‘absolute erogene Zone'”, schreibt die Künstlerin 1972. “Durch die Abdrücke des menschlichen Körpers versuche ich mittels des transparenten Polyesters die flüchtigen Momente des Lebens zu bewahren; ich versuche dessen Paradoxien und seine ganze Absurdität zu erhalten.”¹

Alina Szapocznikows Arbeiten spielen mit Seins-Zuständen, mit Präsenz, Absenz und Werden. In ihrem skulpturalen Werk legte sie verstärkt den Fokus auf das Partielle, auf einzelne Teile, auf Spuren des Körpers, seine Konturen, sein Verschwinden. Sie erzeugte ein “Alphabet des Körpers”², wobei sie dem Objekthaften durch persönliche Bezüge wie eigene Körperabformungen Gestalt gab. Das Biografische ist in Szapocznikows Werk essentiell, überlebte sie als Jugendliche die Konzentrationslager des Dritten Reichs. Nach ihrer künstlerischen Ausbildung in Prag und Paris war sie vor allem im Paris der 1960er Jahre im Umfeld des Nouveau Réalisme aktiv, in dem sie sich mit feministischer Haltung behauptete. Hier richtete sie den Fokus auf die Arbeit mit neuen, industriellen Materialien wie Polyester, Polyurethanschaum und Kunstharz, woraus sich der Großteil des Corpus ihres Werkes der 1960er und 1970er herausbildete. Der Körperabdruck als Negativform, die Verdoppelung, ja das Serielle zwischen Produktion und Reproduktion wird so auch in ihren Lampen mit Abgüssen von Mündern, Po und Brüsten tragend. Nachformungen von Geschlechtsteilen in leuchtenden Farben definieren eine surrealistische Erotik wie bei Sculpture-Lampe (1970), die zugleich Mobiliar ist, Geschlechterrollen skizziert und warenfetischistischen Charakter im Stil der Pop-Art in sich trägt. Das Modellieren durch und mit dem Körper erfährt in Szapocznikows Photosculptures (1971)³ schließlich eine weitere Ebene, zeigen die 20 Fotografien Kaugummiskulpturen, amorphe Gebilde mit Zahnspuren, die die Künstlerin auf (ehemals auch ihren) traditionellen bildhauerischen Materialien wie Stein fotografierte. Die multiple Formbarkeit des Materials mit variierender Gestalt, wie sie Alina Szapocznikow mit dieser Serie darlegte, kann dabei sinnbildlich für ihr Werk und ihre Haltung gesehen werden: im Jetzt mit einer Hinwendung zum Kommenden dem Flüchtigen des Moments Form verleihend.

Der Film Meat Joy (1964) von Carolee Schneemann (*1939) reflektiert den Diskurs um Körper, Sexualität und Gender in einem erotischen Ritual, bei dem Fleisch zu Material wird und der Körper zum Medium. Vier Frauen und vier Männer, nur in Unterwäsche bekleidet, treten durch performative Figuren in Kontakt miteinander: Körper überlagern sich, interagieren in erotischen Posen untereinander und mit dem Fleisch von Hühnchen, mit Fischen und Würsten, mit nasser Farbe, mit transparentem Kunststoff und mit Papier, das Abdrücke ihrer Handlungen hinterlässt. Eine weibliche Sprecherstimme kommentiert die Aktion, wobei sich durch die Überblendung von Kommentaren und zeitgenössischer Soul- und Pop-Musik überlagernde Sprachebenen ergeben. Der Film thematisiert den Raum zwischen Verlangen und Erfahrung, ein Auflösen der Grenzen und den fluiden Wechsel zwischen Zärtlichkeit, Wildheit, Verlassenheit und Ekstase.

Sexuelle Rollenverständnisse sind auch eine wiederkehrende Thematik im Werk von Sarah Lucas (*1962). Die Skulptur Bunny Gets Snookered #3 (1997) thematisiert den Frauenkörper als Objekt in Form eines Mobiliars, ganz ähnlich, wie Alina Szapocznikow dies mit ihren Lampen in Anlehnung an Körperteile tat. Lucas’ Skulptur – eine aus Nylonstrümpfen bestehende Puppe, deren Körper physisch mit einem Schreibtischstuhl verbunden und von Phallus-artigen Würsten umgeben ist – bringt dabei Aspekte von Moral, sexueller Dominanz und Unterwürfigkeit sowie der Ambivalenz von Liebesordnungen zum Ausdruck.

Die Wandelbarkeit zwischen Material, Objekt und Körper erfährt bei den jungen Positionen aus digitaler Perspektive ganz neue Gestaltungsformen, jedoch entspricht der Umgang mit neuen Technologien einem ähnlichen Formfindungsprozess wie bei Alina Szapocznikow. Im Vergleich der Exponate wird dabei deutlich, wie aktuell Szapocznikows Werke gerade heute, im sogenannten “Postinternet”-Zeitalter sind.

Die Arbeit Grapeshot (2015) von Alisa Baremboym (*1982) war kürzlich in der Ausstellung Conflict (process) bei 47 Canal in New York City Teil einer Installation, wobei die Form der Arbeit aus Eierstock-artigen Kugeln in einem hybriden Trägergerüst wiederkehrend als Motiv der jeweiligen Elemente erschien. “Conflicting materialities are a process of perception, and the process is the site of production”, schreibt die Künstlerin auf ihrer Website. Konflikt, Erkenntnis und Macht treten hier in Relation zum weiblichen Körper: Wie sich Körper, Selbstverständnis und Handlung in Rückbezug zu (neuen) Materialen und chemisch-industrieller Produktion anders formulieren und positionieren, wird dabei in Alisa Baremboyms Arbeit zum Gegenstand, zum Statement und zur Frage.

Der digitale Körper ist Bezugspunkt in der Arbeit von Aleksandra Domanović (*1981). Ihre Skulpturen Serie SOHO (Substances of the Human Origin) referieren auf die sogenannte “Belgrader Hand”, eine multifunktionale, extern spannungsgespeiste, kybernetische Hand aus den frühen 1960er Jahren. Dieser Prototyp ist Vorlage für ihre in THEM präsentierten 3-D-Modell-Skulpturen, hier allerdings als Referenz zu Organen, Gewebe und Zellen für Transplantationen und assistierte Reproduktion. Körper erscheinen in Domanovićs Arbeiten als Konzept: sie stellt das Körperhafte heraus als Fragment und Prothese, als Tool und Avatar, als Bild im Raum, als Exzerpt des Internets. Ihre Recherche umfasst dabei die Bedeutung von Frauen in der Entwicklung von Internet, Kybernetik, virtueller Realität und Multimedia.

Das digitale Bild im Raum als Konstruktion ist auch Ausgangspunkt in der Arbeit von Katja Novitskova (*1984). Die Skulptur Approximation (Snail) (2014) ist Teil einer fortlaufenden Serie, in der Novitskova überlebensgro.e, konturierte Tierbilder als Requisite im Raum platziert. Das Display wird zur Schnittstelle zwischen digitaler und physischer Bildrealität, dienen ihre Approximations oftmals als Vorlage für weitere augentäuschende, fotografische Bildinszenierungen ihres Publikums – als Realität des Gleichzeitigen.4 Ihre in THEM gezeigte Arbeit impliziert eine feministische Geste: hält eine weibliche Hand eine sich aufbäumende Schnecke als Revolver provokativ doch zugleich nonchalant in den sich ihr öffnenden Raum.

Die Arbeiten von Anicka Yi (*1971) beziehen sich zumeist auf Geruch als konzeptuelle Komponente und Indikator zwischen Mensch, Körper und Raum. Mit ihrer Skulptur 235,681K of Digital Spit (2010) thematisiert sie die Doppelbödigkeit der Handtasche als Kulturträger: Die transparente Longchamp-Tasche ist gefüllt mit Haargel und einem Kuhmagen. Zwischen Repräsentation und Ekel wird sie zum Phantom von Konsum und Schönheitsindustrie, zum vulgären Gegenspieler weiblicher Klischees.

THEM. Christina Irrgang

_____________________

1 Alina Szapocznikow aus einem Textentwurf von 1972, zitiert in: Anke Kempkes: Ready-mades des Körpers – Alina Szapocznikow, in: Flesh at War with Enigma, Ausst.kat., Kunsthalle Basel 2004, S. 42.
2 vgl. Alina Szapocznikow, nach Anne Tronche: The lapsus of bodies, in: Alina Szapocznikow – From drawing into sculpture, Editions Dilecta, Centre Pompidou, Paris 2013, S. 32.
3 Ursprünglich begleitet von einem Text, der ihre Handlung beschreibt – und das Konzeptuelle der Arbeit unterstreicht.
4 Katja Novitskova verhandelt dies auch in ihrem Buch “Post Internet Survival Guide”, 2010: “As everything is simultaneously realistic and camouflaged, the skill needed to navigate the space meaningfully is to be fluent in image-editing effects.”
Image: Alina Szapocznikow, Lampe-Sculpture, ca. 1970, © The Estate of Alina Szapocznikow. Courtesy Andrea Rosen Gallery, New York and Galerie Loevenbruck, Paris.
Die Ausstellung wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung von: Hauptstadt Kulturfonds, Polnisches Institut Berlin, Andrea Rosen GalleryNew York und Galerie Loevenbruck Paris.

Ausstellungsarchitektur: S.T.I.F.F. (Ganssauge & Steininger)

 LogoHKF-S-RGB          POLNLOGO